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Barcelona Short Film Festival 2022
Interview

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Lilian
Robl
Atem

Als Ausgangsmaterial diente ein YouTube-Video, das dem Betrachter durch Fokussierung auf seinen Atemrhythmus gegen Angst helfen soll, das grafisch verändert, mit Worten gefüllt und so als flüchtiges Atemdiagramm interpretiert wurde.

Hallo Lilian, es ist großartig, mit dir über Atem sprechen zu können. Dein Film war bereits auf einigen internationalen Filmfestivals zu sehen – was bedeutet es für dich zu wissen, dass er so positiv aufgenommen wurde?

 

Zuerst habe ich meine filmischen Arbeiten ausschließlich im Rahmen von Ausstellungen gezeigt. Film- und Videofestivals sind eine schöne neue Möglichkeit für mich, die eigene Arbeit in einem größeren Radius zu zeigen und ein anderes Publikum anzusprechen.

 

Was bedeutet es für dich, diesen Film beim diesjährigen Barcelona Short Film Festival zeigen zu können?

 

Ich freue mich sehr, dass mein Video ausgewählt wurde. Die Trailer und Kurzbeschreibungen der ausgewählten Filme sehen sehr vielversprechend aus. Ich wünschte, ich könnte persönlich vor Ort sein.

 

Welche Rolle spielen Festivals wie das BSFF als Plattform für Filmemacher*innen und Kurzfilme?

 

Das versuche ich für mich selbst gerade noch herauszufinden. Als Bildende Künstler*in, die Bildhauerei studiert hat, bin ich es gewohnt, den Raum bei Filmpräsentationen immer mitzudenken und alle Elemente des Raumes zu kontrollieren: Ich überlege, wie die Technik, die Projektionsfläche, die Verdunkelung, die Lautstärke, installative Eingriffe sowie Sitzgelegenheiten eine Einheit bilden und die jeweilige filmische Arbeit unterstützen können. Ich habe in der Vergangenheit etwa kippende Sitzbänke gebaut, einen Bildschirm in einer Metallkettten-Flaschenzug-Konstruktion von der Decke gehängt oder auf ein als Leinwand umgebautes Bücherregal projiziert. All diese Aspekte gehen bei einem Festival natürlich verloren. Man hat keinen Einfluss darauf, wie der eigene Film abgespielt wird. Es ist bei Festivals spannend, wie sehr sich das Gefühl zum eigenen Film ändert, wenn man ihn in einer Reihe mit anderen Filmen sieht: In Ausstellungen laufen meine Videos meist im Loop und besetzen so ihren eigenen Raum. Ich habe in den letzten zwei Jahren meine Arbeiten unter anderem auf Film- und Videofestivals in Tokyo, New York, Marseille, Athen, London, Mexico City und São Paulo zeigen können. So weit wären meine Arbeiten nur durch Ausstellungen nicht gereist. Allerdings gibt es oft leider keine Rückmeldung, wenn man nicht selbst vor Ort war. Man fragt sich dann: Hat dieses Screening wirklich stattgefunden? Das ist schon auch ein seltsames Gefühl und die fehlende Resonanz ist etwas unbefriedigend.

 

Kannst du ein wenig darüber erzählen, wie Atem entstanden ist?

 

Ich habe die Arbeit für eine Konferenz in Weimar im Herbst letzten Jahres konzipiert. Wissenschaftler*innen, Schriftsteller*innen und Künstler*innen wurden von Ulrike Steierwald, die Professorin für Deutsche Literaturwissenschaft an der Leuphana-Universität Lüneburg ist, dazu eingeladen, an einer Sprachbildlichkeit der vier Elemente – an Perspektiven des Festen, Flüssigen, Plasmatischen und Flüchtigen – zu arbeiten. In einem langen Gespräch in meinem Atelier kamen wir dann auf den „Atem“ als Unterkategorie des Luft-Elements. Da ich mich in meiner künstlerischen Forschung seit jeher für das Sichtbarmachen von Unsichtbarem interessierte, war das ein dankbares Thema für mich. Und es war natürlich inmitten von Corona, wo der Atem für alle plötzlich eine ganz neue Präsenz hatte. Normalerweise arbeite ich in meinen Videos mit langen Voice-Overs. Die gesprochene Sprache ist mein Lieblingsmaterial. Folgt man der Ontogenese der Stimme, ist der Atem ihr Beginn. Ich mochte es, mit der Untersuchung des Atems eine Art Grundlagenforschung meines Mediums zu unternehmen.

 

Welche Botschaft willst du mit diesem Film vermitteln?

 

Ganz generell ist eine Videoarbeit für mich das Ergebnis der Bearbeitung einer Fragestellung, die sich mir inhaltlich, formal oder in meiner künstlerischen Arbeit generell stellt. Das muss nicht zwingend für Leute von außen ersichtlich sein. Aber vielleicht kann man als eine Art Grundaussage feststellen, dass mein Video die Verflechtung von Denken, Sprechen und Atmen zeigt. Und ich mochte den Gedanken, den ich von Rilke geremixt habe, dass ein Atemzug ein Eintauschen von einem Stück Welt mit einem Stück von sich selbst bedeutet…

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"Ich sehe die Arbeit auch als eine literarische, aber eben eine, die nur in der Form als dieses Video existieren kann, im Zusammenspiel mit bewegtem Bild und Sound."

Atem ist nicht nur ein Kurzfilm, sondern auch eine Performance. Kannst du mehr darüber erzählen?

 

Die performative Variante – „Atem für zwei Stimmen“ – habe ich für das konkrete Format und für den konkreten Ort der Weimar-Konferenz entwickelt und mit meiner Künstlerinfreundin Judith Neunhäuserer umgesetzt. Ich mochte die Vorstellung einer minimalistischen Performance, die das Video intensiviert und das Thema der Atmung an menschliche Körper zurückbindet. Wir haben das Video durch lautes Atmen vertont, während wir über das Halten des Bildschirms sowie über den Blick in Kontakt waren.

Wirst du in Zukunft an diese Art zu arbeiten anknüpfen?

 

Gerade denke ich den Film eher für sich stehend, als den Anfangspunkt einer Videoserie, die neben dem „Atem“ den „Blick“, die „Stimme“ und das „Gehen“ in ähnlich diagrammatisch-sprachlicher Weise untersucht. Anstatt den untersuchten körperlichen Vorgängen die Körper der Performer*innen zur Seite zu stellen, will ich die Serie auf massiven Bildschirmen im 5:4-Format präsentieren, die dem Video selbst sozusagen einen Körper verleihen. Für die Videoserie habe ich gerade eine Förderung erhalten: keine Film- oder Bildende Kunst-Förderung, sondern eine für Literatur. Ich sehe die Arbeit auch als eine literarische, aber eben eine, die nur in der Form als dieses Video existieren kann, im Zusammenspiel mit bewegtem Bild und Sound.

 

Wie bist du in deiner Arbeit an Atem vorgegangen und was war das Signifikanteste, was du aus dieser Erfahrung mitgenommen hast?

 

Dass man, um einen Film zu machen, kein Geld und kein Team braucht. Und ich habe gemerkt, dass ein kurzer Film nicht einfacher zu machen ist: Es geht noch mehr um exaktes Timing und Rundheit.

 

Woher kommt deine Leidenschaft für Kunst und Filmemachen?

 

Eigentlich war Film schon immer mein Lieblingsmedium. Ich erliege immer wieder aufs Neue der Sogwirkung des Zusammenspiels von Stimme und Bild. Vor meinem Studium der Bildenden Kunst habe ich Kunstgeschichte studiert und mich innerhalb des Fachs auf Filmwissenschaften konzentriert. Während meiner Zeit an der Kunstakademie war ich Teil eines Performance-Duos und habe auch skulpturale Objekte gemacht. Am meisten identifizieren konnte ich mich aber immer mit meinen filmischen Arbeiten.

 

Hat sich deine Herangehensweise an deine Film- und Kunstprojekte seit ihren Anfängen stark verändert?

 

Was sich auf jeden Fall bei mir durchzieht, ist der Fokus auf die sprachliche Ebene. Filmemachen ist für mich eine Praxis, die auch kontiniuerliches Lesen, Schreiben und Sammeln umfasst. Das Entstehen von Beziehungen zwischen den Dingen führt immer zu neuen Bedeutungen, mehr als die Dinge selbst. Diese Beziehungen in Spannung zu halten kann Intensitäten erzeugen, wie es vielleicht nur das Medium Film kann. Ob der dann am Ende animiert, gezeichnet oder gefilmt ist, ob er eher abstrakt-kühl oder menschlich-warm ist… das ändert sich von Arbeit zu Arbeit. Was sich vielleicht aber geändert hat, ist das Mitdenken eines potentiell internationalen Publikums: Ich denke den Film entweder gleich auf Englisch oder habe neben der deutschen auch eine englische Version, wie in „Atem“ / „Breath“. Dabei kommt es darauf an, wie sehr die filmische Arbeit auch eine Arbeit an der Sprache selbst ist. Das kann ich in meiner Muttersprache besser leisten.

 

Welchen Ratschlag würdest du aufstrebenden Filmemacher*innen geben?

 

Ich würde in den Worten von Stanley Kubrick antworten: „If it can be written, or thought, it can be filmed.“

© 2025 The New Current

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